Wochenbettdepression – wenn die Traurigkeit nach der Geburt bleibt

Jede zehnte Mutter leidet nach der Geburt unter postpartalen Depressionen. Eine Betroffene berichtet.

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„Nein!“ – das erste Wort, das Katrin* in den Sinn kam, als sie ihren Sohn sah. Nach der Geburt mit der Saugglocke war der Kopf des Babys verformt, seine Haut schimmerte bläulich. „Ich fühlt mich wie taub, wie im falschen Film“, berichtet die 32-jährige Lehrerin. Die Geburt verlief nicht wie geplant. Statt wie gewünscht im kleinem familiärem Geburtshaus entbindet Katrin in einem eher nüchternen Kreißsaal. „Meine Fruchtblase war geplatzt und mein Mann brachte mich in Panik in das nächste Krankenhaus.“

Dabei sollte eigentlich alles anders sein. Die Geburt ist lang, nach über zwanzig Stunden ist Katrin so erschöpft, dass die Presswehen plötzlich wieder aufhören. „Ich war völlig weg, ich hörte wie mein Mann immer rief, ich solle atmen, ich dachte nur noch: Nein, nein, nein!“ Das Baby ist schon tief im Geburtskanal, die Saugglocke wird schließlich geholt. „Die hängten mich an einen Wehentropf, alles war nur noch ein riesiger Schmerz und dann drückte man mir dieses Kind in den Arm“, sagt die Mutter. „Das Schlimmste war, dass ich absolut nichts fühlte. Gar nichts. Nur dieses Taubheitsgefühl. Ich wollte einfach nur meine Ruhe.“

Wenn die Traurigkeit nach der Geburt bleibt

Sie würden schon kommen, die enormen Glücksgefühle, von denen alle berichten. Davon war Katrin überzeugt. „Ich kam mir vor wie ein Zombie. Bei der Geburt war ich gestorben. Und nun tappte ich tumb durch die Welt. Die Hebamme legte das Kind zum Stillen an. Man brachte es mir und nahm das Kind wieder mit, ich lag einfach mit offenen Augen im Bett.“ Ihr Mann Steffen kuschelt mit dem Kleinen, freut sich. Und versteht nicht, warum Katrin so teilnahmslos ist.

„Ich merkte schnell, dass ich funktionieren soll. Klar, war ja meine Rolle als Mutter. Und die spielte ich. Aber ich fühlte nichts, das war irgendein Kind, das versorgt werden musste.“

Das überschäumende Mutterglück lässt oft auf sich warten. Rund 50 bis 80 Prozent aller Mutter erleben nach der Geburt ein Stimmungstief, meist zwischen dem dritten und dem fünften Tag nach der Geburt. Experten vermuten, dass dies stark an der hormonellen Umstellung liegt. Doch dieser „Baby Blues“ hält meist nur ein paar Stunden oder Tage an.

Es gibt aber auch Mütter, bei denen es anders ist. Sie fühlten sich ausgelaugt, sind dauernd müde. Überfordert. Und oft todtraurig. Traurig? Wo doch alle Welt von jungen Mamas rosige Glücklichkeit erwartet? Ihre Umgebung versichert ihnen, alles sei normal. Aber Angst, Reizbarkeit, Unsicherheit und das Gefühl der absoluten Fremdbestimmtheit bleiben. Negative Gefühle gegenüber dem Neugeborenem, Apathie und Traurigkeit sind Symptome einer Depression. Nicht immer ist sie sofort nach der Entbindung da, oft ist es ein schleichender Prozess. Wenn die Symptome bleiben, spricht man von einer postpartalen Depression. Unter dieser Krankheit leiden rund dreißig Prozent aller Mütter und vermutlich rund zehn Prozent aller Väter. Doch die Dunkelziffer ist hoch, vermutlich sind viel mehr Eltern betroffen.

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Ursachen kann es viele geben

Was genau bewirkt die Depressionen? Darüber ist noch wenig bekannt, es gibt jedoch Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit an einer postpartalen Depression zu erkranken erhöhen: soziale Bedingungen (Trennung, Existenzängste), Belastungen und Vorerkrankungen. Das Gefühl, überfordert und allein gelassen zu sein verstärkt die Gefühle. Besonders häufig betroffen sind Frauen, die einen sehr hohen Anspruch an sich selbst haben. Ihnen fällt es schwer, die neue Rolle als Mutter zu auszufüllen, wie sie es von sich selbst erwarten – und gleichzeitig können sie sich nicht eingestehen, dass sie überfordert sind und scheuen sich, Hilfe zu suchen.

Auch eine schwere und belastende Geburtserfahrung kann ein Auslöser sein. Mutter und Kind haben dann oft „Startschwierigkeiten“, wenn das unmittelbare Bonding nach der Geburt gestört wurde. Diese Babys sind dann oft besonders unruhig, trinken schlecht und schreien viel. Die Eltern fühlen sich überfordert, meinen den Bedürfnissen ihres Kindes nicht gerecht werden zu können und entwickeln manchmal eine unbewusste Abwehrhaltung gegenüber dem Kind, weil sie sich ungeliebt und überfordert fühlen. Ein teuflischer Kreislauf, denn das Verhalten der Erwachsenen wiederum verstärkt das des Babys.

Betroffene Mütter sind sehr verzweifelt. Gerade weil es oft Frauen sind, die bisher ihr Leben perfekt organisierten. Wie sollen sie mit den „bösen“ Gefühlen umgehen, wie sollen sie sich die Distanz zum eigenen Baby, das doch oft ein Wunschkind ist, erklären? Viele Frauen können und wollen selbst ihre Erkrankung nicht erkennen. Oder sie sehen sie sehr wohl, schämen sich aber zu sehr. Sie ziehen sich immer mehr zurück und versuchen, so wie Katrin, die Rolle einer glücklichen Mutter zu spielen. Ihre innerliche Verzweiflung verstecken sie.

Depressionen sind noch immer ein Tabu-Thema

Generell sind Depressionen in Deutschland noch immer etwas, über das zu wenig gesprochen wird. Ein Arbeitnehmer leidet unter Burn-out? Na, wer ausbrennen kann, hat wenigsten vorher ordentlich Feuer gehabt. Menschen, die offen darüber sprechen, dass sie an Depressionen leiden, werden eher stigmatisiert, gelten als nicht belastbar, als Sensibelchen. Mütter dürfen erst recht nicht darüber reden, dass ihr Inneres so gar nicht dem entspricht, was die Umwelt von ihnen erwartet, oder?

Es gibt nur wenig prominente Ausnahmen, die dieses Tabu brechen. Die Hollywood-Schauspielerin Brooke Shields hat unter postnatalen Depressionen gelitten und über ihre Erfahrung, ihr eigenes Kind nicht annehmen zu können ein Buch mit dem Titel: „Ich würde dich so gerne lieben: Über die große Traurigkeit nach der Geburt“ geschrieben. Auch die Engländerinnen Gwynth Paltrow und Victoria Beckham haben offen über ihre Erkrankung gesprochen.

Ein weiteres prominentes Beispiel ist Alanis Morissette. Als ihr Sohn Ever Imre im Dezember 2010 geboren wurde, erkrankte die kanadische Sängerin, die die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen hat, an postpartalen Depressionen. Erst viel später erklärte sie, dass sie etwa 16 Monate schwer erkrankt war. Sie spricht darüber, denn sie möchte andere Eltern warnen. Sie hätte viel zu lange damit gewartet, sich Unterstützung zu holen, sagt sie in Presse-Interviews. Sie möchte Betroffenen Mut machen und ihnen signalisieren, dass sie nicht allein sind. Und sich rechtzeitig, und früher als sie selbst, Hilfe zu holen.

Sicher gibt es auch in Deutschland prominente Frauen, die die Geburt eines Kindes in eine seelische Krise gestürzt hat. Öffentlich wird aber darüber geschwiegen, das gilt für öffentliche Personen genauso wie für alle anderen.

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Hilfe suchen – und bekommen

Es fiel Alanis Morisette schwer, sich Hilfe zu suchen. So geht es vielen Frauen. Der erste Schritt ist es, sich selbst einzugestehen, dass etwas nicht gut läuft. Katrin fiel dies schwer. „Ich habe mich immer als Powerfrau, als Macherin erlebt. Immerhin bin ich auch Pädagogin und liebe Kinder. Wieso dann nicht mein eigenes?“ sagt sie heute. Ihre Familie war es, die nach fünf Monaten eingriff.

„Ich war so neben mir, dass mich keiner erkannte. Eines Morgens ging ich in das Café um die Ecke. Trank einen Kaffee und hielt mein Gesicht in die Sonne. Erst nach zwanzig Minuten merkte ich, dass ich meinen Sohn zu Hause vergessen hatte. Das war der schlimmste Moment meines Lebens.“

Nur durch Zufall war ihr Mann gerade an diesem Tag noch einmal von der Arbeit zurück gekommen und fand das weinende Baby allein in der Wohnung. Gemeinsam mit Katrins Eltern sorgte er dafür, dass Katrin Hilfe bekam. Zunächst musste sie in eine Klinik aufgenommen werden. „Es war nicht leicht. Aber das Beste. Ganz langsam verschwand die Taubheit, ich spürte mich wieder. Und sah plötzlich, wie liebenswert mein Kind ist. Konnte an ihm schnuppern und mich über seinen Geruch freuen.“

Die meisten Frauen müssen nicht stationär behandelt werden. Wer jedoch zu lange wartet, läuft Gefahr, dass sich die Krankheit verschlimmert und die Gesundheit des Babys und die eigene wirklich ernsthaft gefährdet sind. Erste Anlaufstellen für Hilfesuchende sind Hebammen und Frauenärzte. Auch im Internet gibt es gute Tipps und Ratschläge für Hilfe vor Ort.

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*Namen von der Redaktion geändert